Herzensbrecher, Motivator, Therapiehund

Rio – unser neuer Atelierhund

Wenn er durch die Atelierräume spaziert, hört man seine Krallen auf dem Boden tappen. Sein blondes Fell ist weich, nur am Rücken ist es etwas rauer. Ruhig setzt er sich neben einen Dienstleistungsnutzenden und fordert ihn mit einem sanften Blick zum Streicheln auf. Der DLN beginnt zu lachen und seine Hand streicht über das Fell.

Therapeutischer Mitarbeiter auf vier Pfoten

Seit Mitte Dezember 2022 ist der Mischlingsrüde Rio Teil des Atelierteams und begleitet sein Frauchen 2-3 Mal pro Woche zur Arbeit ins Atelier. Der bald 2-jährige, ehemalige Strassenhund passt mit seinem ruhigen, freundlichen Wesen gut zur Gruppe und hat mit seiner geduldigen, unaufgeregten Art schnell die Herzen der Dienstleistungsnutzenden gewonnen. Bereits ist er ein kleiner Star im Eichholz und die Frage «Ist Rio heute da?» fällt mehrmals wöchentlich.

Rio bewegt sich frei in den Atelierräumen und entscheidet selber, wann er mit wem Kontakt aufnehmen möchte. Genauso entscheiden die Dienstleistungsnutzenden situativ, ob sie sich darauf einlassen möchten oder nicht. Diese Freiwilligkeit ist wichtig, damit es allen Beteiligten gut geht. Regelmässig führt sie zu entspannten, spontanen Begegnungen zwischen Mensch und Hund, bei der beiderseits Freundlichkeiten ausgetauscht werden und beide einen Gewinn davontragen.

Interessierte Dienstleistungsnutzende übernehmen zudem vermehrt kleinere Aufgaben rund um den Hund. So gibt es einzelne, die Rio gerne nach der Znüni- und Zvieri-Pause auf sein Plätzli schicken, um ihm dort eine Kaustange zu füttern. Zu verfolgen, wie Rio mittlerweile der eigenen Aufforderung folgt, sich auf sein Plätzli setzt und freudig die Kaustange entgegennimmt, stärkt dabei das Gefühl von Selbstwirksamkeit und Kompetenz.

Möchte Rio seine Ruhe, zieht er sich auf sein Plätzli zurück, wo er nicht gestört wird und auch mal in Tiefschlaf fällt. Das friedlich ruhende Tier beobachten zu können, ist wiederum oft Anlass für Dienstleistungsnutzende, das Gesehene zu beschreiben und anschliessend eigene Gefühle und Bedürfnisse zu äussern.

Tiergestützte Intervention

Dass Tiere Menschen gut tun, wissen nicht nur Haustierbesitzer:innen und Menschen, die ihre Freizeit mit Tieren verbringen. Bereits seit den 1960er-Jahren werden die Auswirkungen der Mensch-Tier-Beziehung erforscht. Die Erkenntnisse zeigen, dass der Kontakt zu Tier und Natur für den Menschen nicht nur wichtig ist, sondern auch heilend wirken kann. Nicht überraschend ist deshalb, dass der Einbezug von Tieren im therapeutischen oder pädagogischen Setting zunehmend an Bedeutung gewinnt. In sogenannten Tiergestützten Interventionen werden sie zielgerichtet von einer ausgebildeten Fachperson eingesetzt, um beim beteiligten Klienten eine positive Wirkung auf psychischer, physischer oder kognitiver Ebene zu bewirken.

Vorteile solcher Tiergestützter Interventionen liegen im Wesen und Verhalten des Tieres selbst: Tiere kommunizieren direkt und ehrlich, kennen weder Status noch Aussehen und nehmen Menschen daher wie sie sind. Zudem stellen gerade Hunde kaum Bedingungen für Zuneigung. So können sie zu einem positiven Selbstbild beitragen und die soziale Integration sowie Sinnlichkeit fördern, indem sie das Bedürfnis nach Wärme und Nähe befriedigen. Ausserdem wirken sie als «Eisbrecher» oder «Türöffner» und erleichtern so den Beziehungsaufbau zwischen Fachperson und Klient:in. Diese Wirkungen sind bereits im Atelier beobachtbar, obwohl Rio bisher hauptsächlich passiv «dabei» ist und noch nicht aktiv eingesetzt wird. So sagt z.B. eine Dienstleistungsnutzende:

«Ich finde es super, dass Rio hier ist. Er ist immer freundlich, lässt sich gerne streicheln. Ich kann es sonst nicht so mit Hunden, aber mit ihm kann ich es gut. Ich weiss auch nicht, vielleicht habe ich Sehnsucht nach Tieren. Es ist wie Therapie. Rio ist einfühlsam und merkt, wie es mir geht. Manchmal kommt er und legt seinen Kopf auf mein Bein, das ist schön.»


Rio, der Motivator

Rio ist zu einem geschätzten Ateliermitglied geworden. Immer wieder wird er in Gesprächen mit den DLN zum Thema. Manche Bewohnende kommen regelmässig an freien Tagen zu einem Kurzbesuch ins Atelier, um zu schauen, ob Rio da ist. Andere schliessen sich nun öfters dem Nachmittagsspaziergang an oder initiieren ihn sogar – dies auch an Tagen, an denen Rio nicht dabei ist. Nebst dieser aktivierenden Wirkung hat Rio für viele eine emotionale Bedeutung. So ffreut sich eine weitere DLN über Rios Begrüssung:

«Es freut mich, wenn mich Rio am Morgen begrüsst. Ich komme lieber ins Atelier, wenn er hier ist. Er strahlt Ruhe und Positivität aus. Wenn ich konzentriert arbeite, kommt er manchmal vorbei, schnuppert an mir und lässt sich streicheln. Das erfüllt mich mit Glück. Rio ist eine coole Bereicherung für das Team.»

Die Liste der möglichen positiven Wirkungsweisen von Tieren ist lang und hängt insbesondere auch von der Art und dem Ziel des Einsatzes sowie von der eingesetzten Tierart ab. Voraussetzung ist, dass die Klient:innen dem eingesetzten Tier offen gegenüberstehen und keine Angst vor ihm haben. Als die Idee entstand, das Atelierangebot durch die Anwesenheit eines Hundes zu ergänzen, wurden die DLN deshalb frühzeitig informiert. Sie erhielten Raum, sich mit der Idee auseinanderzusetzen sowie Meinungen und allfällige Bedenken zu äussern. Zurück kam hauptsächlich Neugierde. Nur eine DLN äusserte etwas Unbehagen: Lenkt der Hund nicht von der Arbeit ab? Nach drei Monaten mit Atelierhund, zieht sie folgendes Fazit:

«Ich finde es angenehm, dass Rio hier ist. Ich hatte zuerst etwas Angst, dass er ständig zu allen hingeht, aber das macht er nicht. Er tut der Atelierstimmung gut. Er ist überhaupt nicht aufdringlich. Und es ist ein schöner Hund.»

Ausgleich und Ausblick

Dadurch, dass die DLN Rio beobachten und streicheln können, ermöglicht er ihnen öfters eine kleine Auszeit, in der sie von negativen Gefühlen abgelenkt sind. Damit es auch Rio bei seiner «Arbeit» gut geht und es ihm nicht zu viel wird, achtet sein Frauchen genau auf sein Ausdrucksverhalten, um allfällige Stresssignale zu erkennen. Zudem hat er mit Spaziergängen, spielen mit anderen Hunden, Erlebnissen im Pferdestall, entspannen auf dem Sofa und regelmässiger Hundeschule einen guten Ausgleich.

Auch Rios Frauchen wird wieder in die Schule gehen: Um das Angebot «Atelierhund» professionalisieren zu können, wird sie noch in diesem Jahr das CAS «Tiergestützte Intervention» beginnen.

Weitere Rückmeldungen der Dienstleistungsnutzenden zu Rio

''Ich finde es gut, dass Rio hier ist, weil er ganz ein lieber Hund ist. Er bellt nicht. Ich mag den Kontakt zu ihm.''

''Ich finde es super, dass Rio hier ist. Ich liebe Hunde, ich hatte früher selber welche. Es ist mir eine riesen Freude, dass ein Tier hier ist. Er ist ein angenehmer, ist ganz ruhig. Es ist schön, dass er hier ist. Und er nimmt jeden so, wie er ist.''

''Rio tut mir gut, wenn er hier ist und ich ihn streicheln kann. Er ist so zufrieden und nicht unruhig, das färbt auf mich ab.''

''Für mich ist es angenehm, wenn Rio hier ist. Für mich ist es neu, so Kontakt zu einem Hund zu haben, ich habe mich aber schnell daran gewöhnt. Wenn ich möchte, berühre ich ihn, wenn ich nicht möchte, ignoriere ich ihn. Wenn ich ihn anschaue, beruhigt er mich, weil er so schöne leuchtende Augen hat. Rio löst etwas Positives in mir aus.''